Stabilität, Wellen und kohärente Strukturen über und in den Kronen des Regenwaldes

Das Verständnis und die Quantifizierung der Wechselwirkungen zwischen dem Wald und der Atmosphäre ist eine der Hauptaufgaben von ATTO. Wir befassen uns mit dem Austausch von Gasen, Partikeln und Energie. Dazu gehört die Untersuchung der Chemie der Atmosphäre sowie der Ökologie und Biologie der Pflanzen im Regenwald. Entscheidend ist aber auch eine andere Komponente, die nicht ganz so offensichtlich ist. Nur wenn sich die Luft im Innern der Baumkronen mit der Luft darüber vermischt, kann ein Austausch stattfinden. Die physikalische Bewegung der Luft, ihre Verwirbelung, bestimmt, wie gut sich diese beiden Luftschichten, die im Inneren des Blätterdaches und die darüber, vermischen. Dies ist ein Forschungsgebiet, das seit Jahrzehnten erforscht wird. Besonders kompliziert ist es jedoch über einem so komplexen und heterogenen Terrain wie dem Kronendach eines Regenwaldes. Daher bleiben viele Fragen unbeantwortet.

Daniela Cava, Luca Mortarini, Cleo Quaresma und ihre Kollegen haben sich mit zwei neuen Studien, die sie an ATTO durchgeführt haben, vorgenommen, einige dieser Fragen zu beantworten. Sie wollten die verschiedenen Regime der atmosphärischen Turbulenz oder Stabilität definieren (Teil 1) und die räumlichen und zeitlichen Skalen der turbulenten Strukturen beschreiben (Teil 2).

Dazu verwendeten sie meteorologische Daten aus der Regenzeit 2015. Konkret untersuchten sie Windgeschwindigkeit, Lufttemperatur und CO2-Konzentration. Diese wurden sowohl auf dem 80-Meter-Turm als auch auf dem hohen Turm gemessen. Durch die Beobachtung der Veränderungen dieser Parameter über mehrere Tage konnten sie verschiedene Stadien der atmosphärischen Turbulenz beobachten.

Auf der Grundlage dieser Messungen definierten die Wissenschaftler in Teil 1 fünf verschiedene Stabilitätsregime, die jeweils unterschiedliche Merkmale aufweisen:

  • Starke Winde und erhebliche Wärme- und Impulsströme kennzeichnen das instabile Regime
  • Starke Turbulenzen, aber sehr geringe Wärme- und CO2-Flüsse kennzeichnen das nahezu neutrale Regime
  • starke Turbulenzen über dem Kronendach, aber sehr stabile Wärme-, Impuls- und CO2-Werte kennzeichnen das schwach stabile Regime
  • Schwache Winde und geringe Turbulenzen kennzeichnen das sehr stabile Regime
  • Noch weniger Wind und vernachlässigbare Turbulenzen kennzeichnen das superstabile Regime

Unter nahezu neutralen und instabilen Bedingungen breiten sich kohärente Turbulenzstrukturen bis zur 2-3-fachen Höhe des Kronendachs aus. Sie dringen in Schüben auch in den untersten Teil des Waldes ein. In diesen stabilen Zuständen funktioniert die Durchmischung zwischen der Luft im Kronendach des Waldes und der Luft darüber sehr gut und ermöglicht all diese Austauschprozesse. Das bedeutet, dass im Wald produzierte Gase und Partikel, wie BVOC und Pollen, in die Luft über dem Wald aufsteigen können. Dort tragen sie zu chemischen Prozessen bei und sind an der Wolkenbildung beteiligt. Andererseits können die Gase und Partikel durch schubartige Bewegungen von oben in den Wald gelangen und zum Beispiel Nährstoffe mitbringen.

Bei schwach stabilen und sehr stabilen Bedingungen findet eine gewisse Durchmischung statt. Unter superstabilen Bedingungen gibt es jedoch nur einen vernachlässigbaren Transport von der Waldluft in die freie Atmosphäre und andersherum. Unter diesen Bedingungen ist die Luft stark geschichtet und ein Austausch findet kaum statt. Die Identifizierung dieses superstabilen Regimes war eine der wichtigsten Erkenntnisse der Studie. In diesem Regime wird die Atmosphäre über und unter dem Kronendach von niederfrequenten, großräumigen Prozessen beherrscht. Wie diese Strukturen den Transport und die Durchmischung von Gasen und Partikeln beeinflussen, ist eine offene Frage, die in künftigen Studien untersucht werden soll.

In Teil 2 untersuchten die Wissenschaftler ihre Daten noch genauer. Sie entwickelten eine neue Methode, um das Vorhandensein von kohärenten Verwirbelungen nachzuweisen: turbulente Wirbelbewegungen, die weitgehend für den Luftaustausch verantwortlich sind. Daraus leiteten sie dann zwei Parametrisierungen ab, um die räumlichen und zeitlichen Skalen dieser turbulenten Strukturen zu beschreiben. Darüber hinaus nutzte das Team die Daten und Analysen, um zu überprüfen, ob eine bestehende Theorie der atmosphärischen Durchmischung auf ein dichtes Walddach wie das des Amazonas-Regenwaldes angewendet werden kann. Sie fanden heraus, dass dies – mit einigen kleineren Einschränkungen – bei allen Stabilitätsbedingungen der Fall ist. Sie zeigten, dass kohärente Strukturen und damit Turbulenzmischung und -transport unter allen Stabilitätsbedingungen vorhanden sind. Diese weitgehend theoretische Arbeit verbessert unser Verständnis der turbulenten Luftströmung über und innerhalb der Baumkronen.

Beide Studien helfen uns, die komplexen Prozesse der Luftbewegung an der Schnittstelle von Biosphäre und Atmosphäre zu beschreiben. Dies wiederum wird eine bessere Darstellung in Modellsimulationen und damit bessere Vorhersagen über die Zukunft des Amazonas in einem sich ändernden Klima ermöglichen.

Cava et al. veröffentlichten die Studie “Vertical propagation of submeso and coherent structure in a tall and dense Amazon Forest in different stability conditions PART I: Flow structure within and above the roughness sublayer” in der Zeitschrift Agricultural and Forest Meteorology.

Mortarini et al. veröffentlichten die Studie “Vertical propagation of submeso and coherent structure in a tall and dense amazon forest in different stability conditions. PART II: Coherent structures analysis” ebenfalls in der Zeitschrift Agricultural and Forest Meteorology.

Beide sind Closed Access, aber für 50 Tage ab Veröffentlichung über die oben angegebenen Links frei zugänglich.

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